Gespräch mit Margrit Schmidt, Initiatorin des „Wohntisch Lichtenrade“
„Ich hatte einen Traum. Jahrzehntelang war die Alte Mälzerei verschlossen, aber eines Tages wollte ich dort wohnen und alt werden. Einen Wassergraben anlegen lassen und morgens um die “Burg” herumschwimmen.“
Margrit Schmidt ist keine Träumerin. Aber sie hat Visionen und klare Vorstellungen, wie sie im Alter einmal leben möchte: in einer lebendigen, bunten Nachbarschaft, in der die Menschen generationsübergreifend miteinander und nicht nebeneinander wohnen. Sie setzt sich unermüdlich für ihren Kiez, für soziale Gerechtigkeit und für Ökologie ein. Seit 2007 engagiert sie sich in der Ökumenischen Umweltgruppe Lichtenrade und seit 2021 im Aktionsbündnis LebensMittelPunkt, das auch einen Standort im Lichtenrader Revier entwickelt. Sie ist zwar nicht in Lichtenrade geboren, lebt aber seit ihrem fünften Lebensjahr in Tempelhof-Schönebergs südlichsten Stadtteil, den sie liebgewonnen hat.
2016 rückt ihr Traum plötzlich in greifbare Nähe, als sie den neuen Eigentümer der Alten Mälzerei, Thomas Bestgen, kennenlernt. Auch er wird für sie keinen Wassergraben um die Alte Mälzerei ziehen, aber er hört ihr und den Mitstreiter*innen der Ökumenischen Umweltgruppe zu. Der Märchentraum verwandelt sich plötzlich in den ganz realen „Wohntisch Lichtenrade“, den Margrit Schmidt mit Rückendeckung des „Netzwerks Generationenwohnen“ und Gleichgesinnten im Büro des Programms „Aktive Zentren“ gründet. Ihr Ziel: Nicht in, sondern mit vielen anderen rund um die Alte Mälzerei wohnen. Denn Thomas Bestgen kauft auch die Grundstücke um das Industriedenkmal an, auf denen ein neues Wohnquartier entstehen soll. Und sogar ein Schwimmbad!
Seit 2017 sprechen die Aktiven des Wohntisches darüber, wie sie sich das gemeinschaftliche Wohnen im Lichtenrader Revier vorstellen. Sie tauschen Ideen aus, was über das bloße Wohnen hinaus alles angeboten werden soll. „Zu Anfang habe ich ganz gezielt Menschen angesprochen und gefragt, ob sie nicht mitmachen möchten. Ich habe sogar Flyer ausgelegt, um weitere Mitstreiter*innen zu finden“. Aber es war hauptsächlich Mundpropaganda, denn durch die neuen Eigentümer und erste Aktivitäten auf dem Gelände der Alten Mälzerei entwickelte sich diese schon bald zu einem großen Magneten“, besinnt sich Margrit Schmidt auf die Anfänge. „Ich habe natürlich sofort mein Herzensthema Ökologie eingebracht und eine Teilnehmerin rief sofort aus, dass doch bitte alles bezahlbar bleiben muss. Da traf es sich gut, dass Herr Bestgen schon von sich aus das bezahlbare Wohnen als Ziel gesetzt hat.“
Margrit Schmidt: „Die Motivationen, warum sich über einen langen Zeitraum die Menschen beim Wohntisch engagieren, sind ganz unterschiedlich. Wir nehmen alle auf, die interessiert sind. Wir sind jetzt etwas über 20 Aktive. Da ist zum einen natürlich der Wunsch nach einer neuen Wohnung. Wir sind von Anfang an Anfang davon ausgegangen, dass die, die das Konzept attraktiv finden, schon die Richtigen sein werden. Viele Interessenten stehen jetzt, wo der Bau beginnt, in den Startlöchern und schon bald wird es mehr Bedarf als Wohnungen geben. Etliche Menschen sind in einer ähnlichen Situation wie ich, denen die Last mit einem eigenen Haus und Grundstück zu groß ist. Die rechtzeitig noch einmal Wurzeln schlagen wollen, wo sie vielleicht bis an ihr Lebensende bleiben können und am Schluss sogar eine Pflege-WG auf dem Gelände in Aussicht haben. Das finde ich beruhigend. Auch viele Jüngere zeigen Interesse, vor allem jetzt, wo der Bautermin näher rückt. Das ist gut, denn wir wollen auf jeden Fall eine richtig gute und generationsübergreifende Mischung.“
Mittlerweile kann man Margrit Schmidt regelmäßig auf dem Gelände der Alten Mälzerei antreffen, wenn sie beispielsweise monatliche Führungen mit Interessenten durchführt. „Viele Wohnungsinteressenten finden unseren Flyer, hören von uns oder kommen über die Cohousing-Plattform oder die Netzwerkagentur GenerationenWohnen. Wir bieten dann an, an einer der nächsten Führungen durch das Gelände des Lichtenrader Reviers teilzunehmen. Das ist ein erstes Beschnuppern, man kann Fragen stellen und bekommt Informationen. Im zweiten Schritt bieten wir ein vertiefendes Gespräch an für die, die sich zurückgemeldet haben. Wenn dann weiterhin Interesse besteht, laden wir zu einem Willkommenstreffen ein, in dem wir die Wohnungspläne vorstellen. Bei diesen unterschiedlichen Zusammentreffen spürt man sehr gut, ob jemand nur eine Wohnung sucht oder ob sich jemand darüber hinaus für das Gemeinschaftliche und die Nachbarschaft interessiert zeigt. Das ist jetzt viel Arbeit bei 180 Wohnungen, aber die werden irgendwann alle weg sein“, freut sie sich schon jetzt.
Zurzeit arbeitet der Wohntisch an der Vereinsgründung. Margit Schmidt: „Das ist schon ein dicker Brocken, denn wir wollen unbedingt die Anerkennung der Gemeinnützigkeit erreichen. So schaffen wir Verbindlichkeit und sehen, wie entschieden jemand ist, wirklich im Revier mitzuarbeiten. Nicht jeder und jede wird Zeit erübrigen können, sich aktiv einzubringen, will aber die Mitgliedsbeiträge zahlen. Auch das ist ja schon eine Unterstützung für die Finanzierung der Gemeinschaftsflächen. Die Belegungsfrage der Wohnungen ist auch sehr arbeitsintensiv. Wir sind gespannt, wie sich das mit dem nächsten großen Schwung der Interessenten entwickeln wird.“
Die Arbeitskreise bilden die Säulen des zukünftigen Vereins. Ziel ist, dass sich viele Bewohner*innen einbringen, beispielsweise im Arbeitskreis Gemeinschaftsflächen, im Arbeitskreis Spaziergänge für Neu-Lichtenrader*innen oder im Arbeitskreis zur Pflege der Grünanlagen. „Da wollen bestimmt viele mitmachen. Als wir die Pläne der Landschaftsarchitektin gesehen haben, waren wir total begeistert. Das Revier wird sicher zum Lieblingsaufenthalt aller Lichtenrader*innen. Dann müssen wir Regeln zur Nutzung aufsetzen, wenn dort alle dicht an dicht sitzen“, freut sich Margrit Schmidt augenzwinkernd.
„Natürlich suchen wir noch weitere Mitstreiter*innen. Der Arbeitskreis Belegung nimmt erst jetzt die Arbeit auf, noch gibt es viele freie Wohnungen. Wir planen, bei den zukünftigen Willkommenstreffen die Arbeitskreise vorzustellen, wie in einem Worldcafé. Da kann man sich informieren und erfährt, welche Themen gerade erarbeitetet werden. Im Idealfall wird sich an Ort und Stelle für den einen oder anderen Arbeitskreis entschieden, um sich frühzeitig zu integrieren“, hofft sie.
Weitere Informationen und Kontakt zum Wohntisch im Lichtenrader Revier:
Lichtenrader Revier | CoHousing | Berlin
(Fotos: Thorsten Eichholz, UTB Projektmanagement GmbH)